
Deutscher Holzbaupreis 2019
Holzbau, wie er im Buche steht
Das Gebäude, das heute die Kressbronner Bücherei beherbergt, hat eine fast 100jährige Geschichte – die aber längst nicht so spannend ist wie die Romane, die jetzt in den Regalen auf junge und erwachsene Leser warten. Lange Zeit diente der klassische, im Ortskern nahe Kirche und Rathaus gelegene Scheunenbau nur zur Lagerung landwirtschaftlicher Geräte. Nachdem die Gemeinde den Bau erworben hatte, beschloss man unter Bürgerbeteiligung eine Neunutzung als Bibliothek. 2015 ging der Auftrag an das Architektenbüro Steimle aus Stuttgart, und schon 2018 konnte die Bücherei feierlich eröffnet werden. Seitdem wird sie mit Begeisterung von den Kressbronnern genutzt.
Begeisterung hat das Bauprojekt auch bei der Jury des Deutschen Holzbaupreises ausgelöst: Sie zeichnete die Kressbronner Bücherei 2019 aus.
Umgestaltung – einfach, aber effektvoll und mit viel Holz
Vorrangiges Ziel der Planer war es, den ursprünglichen Charakter der Scheune zu bewahren und sie gleichzeitig in einen modernen Funktionsbau zu verwandeln. Der einstige Steinsockel, jetzt aus Beton, und das weit auskragende Satteldach künden noch deutlich von der ehemaligen Nutzung. Auch innen wurde die althergebrachte Struktur beibehalten: Das Erdgeschoss bildet eine massiv wirkende Basis mit stattlichen 70 cm Wandstärke, darüber erhebt sich eine luftige, hohe Tenne mit frei liegendem Dachstuhl.
Wie viel Handwerkskunst und Kreativität in die Restaurierung investiert wurde, zeigt ein Blick auf die Details: Das alte Holztragwerk des Daches wurde abgetragen, Stück für Stück instandgesetzt und wieder zusammengebaut. Sogar der Effekt der scheunentypischen Holzlattung, helles Sonnenlicht, das durch Ritzen scheint, wurde gestalterisch neu erschaffen. Schlanke Holzlamellen vor den Fenstern lassen natürliches Licht in die Räume einfallen und brechen es so, dass es beim Schmökern nicht stört.
Für die anspruchsvollen Holzarbeiten setzten die Planer auf Fachbetriebe aus der Region. Architekt Thomas Steimle erklärt, warum: „Hier am Bodensee war das verhältnismäßig einfach – gerade was die Holzarbeiten angeht. Durch die Seenähe wird Holz hier ganz anders beansprucht, und man weiß, wie mit dem Material richtig umgegangen werden muss. Es gibt noch so etwas wie Handwerkerehre, und viele Firmen wollen einfach auch aus Prinzip Qualität bauen.“
Beton: Mehr Charme dank alter Holzsäge
Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus 30 Metern Entfernung sieht die Basis des Stadels aus, wie eben ein Betonbauteil aussieht. Je näher der Betrachter kommt, desto deutlicher wird aber, das hier alles andere als Standard zu bewundern ist: Das graue Baumaterial ist nicht so glatt und gleichförmig wie sonst üblich. Es ist strukturiert, hat Rillen, tastbare Konturen in der Oberfläche – fast wie Holz. Und das hat seinen Grund. Für die Schalung beim Betonguss wurden eigens grob gesägte Holzbretter verwendet.
„Um geeignete Bretter für die raue Schalung zu erhalten, haben wir es uns nicht einfach gemacht“, berichtet Architekt Thomas Steimle. „Zwölf Sägereien ließen wir Muster anfertigen. Schlussendlich hat die Sägerei mit der ältesten und unperfektesten Bandsäge den Zuschlag bekommen. Das Holz bekam durch das flatternde Band einen ganz besonderen Schlag und eine Individualität, die sich an der Fassade in einer außergewöhnlich lebendigen Anmutung zeigt.“
Jury-Lob und Nutzer-Freuden
Für die gelungene Restaurierung wurde die Bibliothek in Kressbronn mit dem Deutschen Holzbaupreis 2019 in der Kategorie „Bauen im Bestand“ ausgezeichnet. Die Jury des Wettbewerbs urteilte: „Ohne äußeren Anbau und ohne Veränderung des prägnanten Satteldaches wurde die historische Bausubstanz auf hohem Niveau weiterentwickelt. Auch im Innenbereich wird die Balance aus Geschichte und Gegenwart zur überzeugenden Qualität dieses Hauses.“
Besonders erfreulich für Leseratten: Die preisgekrönte Bücherei bietet Literatur rund um die Uhr. Eine 24-Stunden-Ausleihe mit separatem Zugang versorgt die Kressbronner zu jeder Tages- und Nachtzeit mit neuem Lesestoff.
Bildquelle: Brigida Gonzàlez